Tag 6 – 8: Zugfahrt von Chicago nach Portland
Die USA haben lt. Wikipedia das größte Schienennetz der Welt, jedoch dient dies überwiegend dem Frachtverkehr. Personenverkehr gibt es nur ein einigen Ballungsgebieten, im dicht besiedelten Nordosten und auf einer Handvoll von Fernverkehrsrouten mit klangvollen Namen wie “Coastal Starlight”, “Texas Eagle” oder “Southwest Chief”. Diese Routen werden von Amtrak betrieben, der nationalen Personenbahngesellschaft - deren Name hier auch als Synonym für einen Personenzug verwendet wird.
Auf einer dieser Strecken werden wir die nächsten zwei Tage unterwegs sein: Mit dem “Empire Builder” fahren wir von Chicago über Milwaukee und Minneapolis nach Portland. Auf dieser ca. 45-stündigen und ca. 3600 Kilometer langen Routen fahren wir durch sage-und-schreibe acht Staaten: Illinois, Wisconsin, Minnesota, North Dakota, Montana, Idaho, Washington und Oregon. North Dakota und Montana durchqueren wir in deren voller Breite, Idaho an einem sehr schmalen Zipfel. In Oregon sind wir nur für wenige Meilen unterwegs, nachdem wir aus Vancouver, WA kommend den Columbia River überqueren und schließlich am Zielbahnhof - der Portland Union Station ankommen.
Zugfahren funktioniert in den USA ein wenig anders als zu Hause: großes Gepäck gibt man vorher ab, dann nimmt man in der Wartehalle Platz oder macht - so wie wir - letzte Besorgungen und bevorratet sich für die lange Reise. Wenn das Boarding beginnt, stellt man sich in die Schlange und wartet darauf, auf den Bahnsteig und in den Zug einsteigen zu dürfen.
Wir haben zwar geschwankt, uns letztlich aber gegen ein “Roomette” - ein kleines, eigenes Zimmer mit umklappbaren Betten - entschieden. Ca. 1800 $ war uns dann doch zu teuer. Stattdessen haben wir uns für die “Coach Class” entschieden - große Sitze mit viel Beinfreiheit, welche man zumindest ein Stück weit zurückklappen kann. Zwar haben wir am “Bidup-Programm” teilgenommen, bei dem man ein Gebot für ein Upgrade abgeben und bei freibleibenden Abteilen zum Zug kommen kann. Allerdings haben wir kein Glück, denn der Zug ist komplett ausgebucht und so müssen wir auf die Vorteile der ersten Klasse verzichten.
Am ersten Abend ergibt sich noch die Gelegenheit ergeben, einen Platz im Speisewagen für das Dreigänge-Abendessen zu ergattern - hier haben wir uns allerdings schon eingedeckt. Am zweiten Abend würden wir das Angebot gerne annehmen - doch anscheinend sind so viele Gäste zugestiegen oder die Vorräte im Speisewagen sind so knapp, dass nur die Gäste der 1. Klasse bewirtet werden.
Der Zug an sich ist durchaus in die Jahre gekommen. Mit Abstand am modernsten sind die zwei Diesellokomotiven, die den Zug auf eine Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h bringen. Im Schnitt sind wir aber deutlich gemächlicher unterwegs und müssen auch oft für viele Minuten auf entgegenkommende Züge etc. warten. Die Wagons sind Doppelstockwagen, sogenannte “Superliner” und sehen genau so aus, wie man sie aus dem Fernsehen kennt: silberner Stahl, groß und wenig windschnittig. Es gibt viele Steckdosen und Toiletten (auf welchen es auch immer Seife und Papiertücher gibt) sowie ein paar Umkleideräume. Leider sind die Scheiben verkratzt, leicht vergilbt und dreckig, was das Fotografieren erschwert. Generell ist es recht dreckig und man merkt, dass die Wagen sicher schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Das Personal ist bis auf wenige Ausnahmen nicht besonders freundlich, sondern eher herrisch und wenig hilfreich - und wäre bei Tätigkeiten ohne Umgang mit Kunden sicher besser aufgehoben.
“Coach Class” bedeutet allerdings nicht, dass wir den ganzen Tag auf unseren Sitzen bleiben müssen - die meiste Zeit verbringen wir im “Sightseer Car”, einem Panoramawagen mit parallel zu den Fenstern ausgerichteten Sitzen, von denen man einen tollen Blick auf die vorbeiziehende Landschaft hat.
Im Panoramawagen hat sich auch direkt nach der Abfahrt ein Teil der sehr zahlreich vertretenen Amish-Community eingefunden. Es wird gesungen und Karten gespielt. Zusammen mit der doch recht auffälligen Kleidung ergibt sich ein tolles Gesamtbild und man fühlt sich um 150 Jahre in der Zeit zurückversetzt. Es zeigt sich, dass es sich auch gar nicht um eine große Amish-Reisegruppe handelt - sondern um viele voneinander unabhängig reisende Familien. Da die Amish mehrheitlich jedoch weder Autos besitzen noch mit dem Flugzeug fliegen, bleibt als Mittel für lange Reisen im Grunde nur der Zug - und weil die meisten Amerikaner diese langen Strecken vermutlich mit dem FLugzeug zurücklegen, sind die Amish überproportional im Zug repräsentiert. Gut für uns - denn sie sind durchaus angenehme Mitreisende, die nicht durch Rücksichtslosigkeit negativ auffallen würden.
Die ersten Stunden der Fahrt sind wenig spannend. Es geht viel durch besiedeltes Gebiet und die Aussicht ist mäßig interessant. Nachdem wir die Twin Cities, Minneapolis und Saint Paul, in der ersten Nacht verlassen haben, wird es ländlicher und den Tag verbringen wir mit der Fahrt durch North Dakota und Montana. Die nächste wirkliche Stadt wird Vancouver, WA kurz vor Portland sein - in schätzungsweise 35 h. Wirklich von Bedeutung ist dies aber nicht, da die Stopps ohnehin sehr kurz sind und nur alle paar Halte das Aussteigen überhaupt erlaubt ist. Insbesondere für Raucher sind das durchaus lange Stunden.
In North Dakota ist die Landschaft vor allem von Landwirtschaft geprägt. Feld grenzt an Feld, immer wieder ragen große Getreidesilos auf und man sieht riesige Traktoren und Mähdrescher. Noch mehr sieht man allerdings Weideflächen für Vieh und unbewirtschaftetes Land. Leider sieht man auch sehr viele Schrottautos in Feldern stehen, teilweise sind ganze Schrottplätze in der Natur entstanden oder diese hat sich ihr Land zurückerobert. Direkt hinter dem historischen Fort Union Trading Post erreichen wir Montana.
Richtung Montana sieht man auch immer mehr Anlagen zur Ölförderung - ansonsten sieht es in weiten Teilen so aus wie in North Dakota. Obwohl Montana den Namen “Big Sky Country” trägt, ist die Sicht in weiten Teilen leider nicht gut - denn in Kanada brennt hunderte Kilometer entfernt der Wald und der Wind trägt die Partikel über die Grenze.
Da es nur eine handvoll Bahntrassen gibt, die die USA in Ost-West-Richtung durchziehen, ist auf diesen dementsprechend viel Verkehr. Wir sehen zahlreiche Güterzüge. Einmal zählen wir 80 Waggons - viele davon deutlich höher als “unsere”; so werden eigentlich immer zwei Container aufeinander gestapelt. Mal sehen wir einen Zug, der von 6 Lokomotiven gezogen wird und gar nicht mehr enden mag.
Am Ende des Tages erreichen wir mit der untergehenden Sonne die Ostgrenze des Glacier National Parks. Es geht nun spürbar durch die Rocky Mountains und schon bald wird der Marias Pass, mit 1588 Metern der höchste Punkt der Strecke, erreicht.
Während der zweiten Nacht an Bord des “Empire Builders” wird der Zug in Spokane (nun sind wir in Washington) geteilt: Gepäckwagen und Speisewagen fahren nach Seattle weiter, der Panoramawagen nach Portland. Davon bekommen wir allerdings nichts mit, denn wir schlafen doch überraschend gut auf unseren Sitzen. Irgendwann hat man den Dreh heraus, wie man sich legen muss, damit man nicht mit Schmerzen aufwacht - und dann geht’s ganz gut, denn die Mitreisenden und das Zugpersonal verhalten sich während der Nachtstunden ruhig.
Mit der aufgehenden Sonne sitzen wir wieder im Panoramawagen und nun beginnt der lohnenswerte Abschnitt der Reise, der für die Mühen entschädigt. Zwischen Spokane und Pasco fahren wir durch eine Landschaft sanfter Hügel, die von der aufgehenden Sonne angestrahlt werden.
Hinter Pasco wollen wir den Columbia River überqueren - allerdings gibt es Probleme mit der (anhebbaren) Brücke. Diese werde gerade repariert heißt es - und wir sind schon ein wenig besorgt, dass dies wohl auch länger dauern könnte. Ein paar Minuten nachdem unser Zug wieder rückwärts in den Bahnhof zurückgefahren ist, kommt dann die gute Nachricht: es geht weiter.
Nachdem wir den Columbia River überquert haben folgen wir ihm für den Rest der Strecke durch die Columbia River Gorge, welche die Cascades (zu dt. Kaskadenkette) durchschneidet. Durch zwei große Staudämme zur Energiegewinnung (und mit Schleusen, denn der Columbia River ist schiffbar und wir sehen einige davon) entschärft, fließt das Wasser gemütlich Richtung Portland. In der ruhigen Oberfläche spiegeln sich die Hänge der Schlucht und ergeben eine wirklich beeindruckende Kulisse für die letzten Stunden unserer Zugfahrt. Teils fährt der Zug auch auf einem Damm, dann befindet sich auf beiden Seiten Wasser und die Aussicht ist besonders schön.
Gegen Mittag erreichen wir Vancouver, WA und kurz nachdem wir den Columbia River ein zweites Mal überquert haben endet unsere Zugfahrt mit der Ankunft an der Portland Union Station.